Roche Hufnagl
Kunstschaffende hauchen dem Bahnhof Bruggen neues Leben ein.
Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, war für Martin Huber klar, dass er helfen möchte. Für sein Projekt, Wohnmodule für Menschen, die ihre Häuser verloren haben, zu bauen, erhielt er kürzlich vom Rotary Club AR die höchste rotarische Auszeichnung, den «Paul Harris Fellow».
Projekt Hundert. Das ist die Anzahl Wohnmodule, die Martin Huber aus Herisau unbedingt erreichen wollte. Und das hat er geschafft – vor kurzem wurde das hundertste Zuhause an eine Familie übergeben. Doch an den Beginn der Geschichte. «Die Russen haben damals während 36 Tagen den Norden der Ukraine besetzt. Als die Soldaten abgezogen sind, erhielten wir von der Gemeinde Tschernobyl einen Anruf. Sie hätten keinen Strom mehr, da die Russen alles zerstört hatten – und ob wir nicht ein paar Notstromgeräte hätten», erzählt der Unternehmer Martin Huber. Mitarbeitende der Schwesterfirma von Huber Fenster, die Firma Divario, machten sich mit diesen Geräten auf den Weg. «Sie fuhren soweit sie konnten. Da aber alle Brücken zerstört waren, mussten sie noch auf ein Schiff zurückgreifen», so Huber. Er habe zu den Mitarbeitenden gesagt, sie sollen Fotos machen, da man damals noch nicht so viele Informationen hatte. «Dann habe ich die vielen zerstörten Häuser auf dem Land gesehen. Und ich dachte mir: Wir arbeiten in der Ukraine mit Holz und wer soll diesen Leuten helfen, wenn nicht wir.» Die Firma stellte zu diesem Zeitpunkt Fensterkanten her – wie man ein Wohnmodul baut, wusste damals niemand in der Firma. «Also baten wir eine Firma in Savognin, mit der wir schon lange arbeiten, uns unter die Arme zu greifen. Sie zeichneten für uns den Plan für die Wohnmodule», sagt Huber. Zu der Zeit waren noch vier Mitarbeiter der Divario aus der Ukraine hier, die eigentlich zurückwollten. Doch der Krieg war aber schon ausgebrochen. «Flugs haben wir sie mit nach Savognin gebracht, um dort zu lernen, wie man ein solches Modul baut. So entstand das erste der hundert Wohnmodule und wir gründeten den Verein 'Ukraine Hilfe'», erzählt Huber. Zu Werbezwecken für das Projekt wurde das Modul am Hauptbahnhof in Zürich aufgebaut, bevor es in die Ukraine gefahren wurde. «Dreieinhalb Monate später hatte die erste Familie wieder ein Dach über dem Kopf», sagt Huber. Um in der Ukraine produzieren zu können, wurde eine Halle gebaut und ein Hallenkran aus Herisau geliefert. Das alles während des Krieges. Im September 2022 begann schliesslich die Produktion.
Die Wohnmodule wurden vorwiegend in der Region Iwankiw aufgebaut. Dies aufgrund der Kontakte und einer sehr engagierten Gemeindepräsidentin, die sich dafür einsetzte. «Uns war wichtig, die Module nicht in Frontnähe aufzubauen. Dort könnten sie jederzeit wieder zerstört werden», sagt Huber. Dort wo Divario seinen Sitz hat, sei die Entfernung bis zur Front rund 500 bis 700 Kilometer. Aus Cherson erhielt Huber die Meldung, dass auch dort Wohnmodule gebraucht werden könnten. Doch nicht Hunderte, sondern Tausende. «Für rund zehn Module haben wir derzeit noch das Geld. Also beginnen wir erst einmal damit», sagt Huber. Das Projekt ist ausschliesslich durch Spenden finanziert – solange Geld da ist, werden auch Wohnmodule gebaut. Ein kleines Modul für zwei Personen kostet rund 23'000 Franken, das grosse für vier Personen rund 30'000 Franken. Cherson ist allerdings nur rund acht Kilometer von der russischen Front entfernt. «Der Fluss Dnepr liegt allerdings dazwischen, daher ist es etwas weniger gefährlich», so Huber. Sicher sei es aber nicht, dennoch werde man in Kürze nach Cherson gehen. Vier Module sollen zudem für Inlandflüchtlinge aus Charkiw gebaut werden. «Sie kommen, um im Spital zu arbeiten. Für sie bauen wir doppelstöckige Module.»
Martin Huber reist jeden Monat für die Firma und das Projekt in die Ukraine. Da die Front so weit weg ist, erlebt er kein aktives Kriegsgeschehen. «Die täglichen Alarme jedoch fahren aber schon in die Glieder. Die Menschen leben trotzdem ihren Alltag und gehen auch nicht mehr jedes Mal in die Schutzkeller», berichtet Huber. Sollte eine Kinschal-Rakete abgefeuert worden sein, würde die Zeit, Schutz zu suchen, ohnehin nicht ausreichen. Eine Kinschal ist eine Hyperschall-Luft-Boden-Rakete aus russischer Produktion und braucht nur wenige Minuten bis zum angepeilten Ziel. Der Krieg ist aber auch abseits der Front spürbar, praktisch alle haben jemanden an der Front oder bei einem Angriff verloren. «Wenn wir die Häuser übergeben, hören wir oftmals tragische und brutale Geschichten», sagt Huber, dem diese Erzählungen nahe gehen. Jedes Mal, wenn er in der Ukraine ist, geht er auf den Friedhof. «Und jedes Mal sieht man wieder einige Flaggen mehr, für jene die starben», sagt er. Auch das Schicksal eines Mitarbeiters ist bis heute unklar. «Er ist seit zwei Jahren verschwunden, seine Frau erhielt nie Informationen, ob er in Gefangenschaft ist oder noch lebt», sagt Huber.
Die Produktion vor Ort gestaltet sich nicht immer einfach – wegen Stromausfällen kann teils nur wenige Stunden am Stück gearbeitet werden. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter an die Front eingezogen werden und immer weniger in der Produktion mitarbeiten können. «Jetzt möchte das ukrainische Militär erneut 15 Arbeiter abziehen. Wenn wir Glück haben, hilft der Fakt, dass wir Wohnraum bauen für die Bevölkerung», sagt Huber. Auch wenn es viele Herausforderungen gibt, ist für ihn nie in Frage gekommen, nichts zu tun. «Wer helfen kann, sollte dies tun – und wir können», so Huber. Und er weiss, dass dank dieses Projekts hundert kriegsversehrte Familien wieder ein Zuhause haben. «Das ist schön, dennoch ist es lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein», sagt er. Die Familien, denen bisher geholfen werden konnte, seien sehr dankbar – endlich hätten sie wieder ein zu Hause.
Stefanie Rohner
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