Ruth Inauen
Die 20. Guggennacht Engelburg ist die letzte, die sie organisiert.
Peter Dörflinger, Präsident der Kesb Ausserrhoden. sro
Die Dossiers werden jedes Jahr mehr, das Personal hingegen nicht. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Appenzell Ausserrhoden hat mit Personalmangel zu kämpfen. Peter Dörflinger zeigt sich dennoch optimistisch.
Personalmangel Rund 26 Personen arbeiten bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Appenzell Ausserrhoden – Festangestellte und Springer. Vor allem betroffen vom Personalmangel sei man bei der Behörde – bei den unterstützenden Diensten sowie dem Abklärungsdienst habe man genügend Personal. «Bei der Behörde haben wir drei unbesetzte Stellen, also rund 240 nicht besetzte Stellenprozente. Das ist sehr viel. Wir schwimmen, aber wir gehen nicht unter», sagt Peter Dörflinger, Präsident der Kesb Ausserrhoden. Das Problem sei, dass die Mitarbeitenden der Behörde diejenigen sind, welche die Entscheidungen treffen. Die unterstützenden Dienste – Rechtsdienst, Sekretariat und Revisorat – sowie der Abklärungsdienst leisten die Vorarbeit, aber die Behörde entscheidet was anzuordnen ist. «Wenn die Kesb handelt, dann mit einem Entscheid der Behörde. Je weniger Mitarbeitende wir haben, desto mehr Verfahren haben die einzelnen gleichzeitig», sagt Dörflinger. Im Moment habe mehr als 200 Dossiers pro Behördenstelle von hundert Prozent. Zwar sei nicht bei allen Dossiers stetig etwas im Gange, aber dies könne jederzeit der Fall sein. Doch nicht nur der Personalmangel bei der Kesb an sich ist ein Problem, sondern auch jener bei Stellen, auf welche die Kesb angewiesen ist. «Wir prüfen, ob es ein Problem gibt und wenn dies der Fall ist, ordnen wir die Massnahmen an, die das Zivilgesetzbuch bietet. Wir analysieren und entscheiden, was zu tun ist, helfen aber selbst nicht direkt. Da kommen die Beistandspersonen ins Spiel.» Diese arbeiten aber nicht bei der Kesb.
Sie erhalten von ihr die nötigen Aufgaben und Kompetenzen, damit die betroffenen Person Schutz und Hilfe erhalten. Die Beistandspersonen sind gegenüber der Kesb rechenschaftspflichtig, werden also von ihr beaufsichtigt. Das gilt für die rund 200 privaten Beistandspersonen ebenso wie für die rund 23 Berufsbeiständinnen und Berufsbeistände, die in Ausserrhoden in drei regionalen Berufsbeistandschaften (Vorder-, Mittel-, Hinterland) arbeiten. «Auch dort herrscht Fachkräftemangel und es werden Springer eingesetzt», sagt Dörflinger. Für die Verbeiständeten sei das ein Problem, weil sie durch regelmässige Abgängen immer wieder eine neue Beistandsperson zur Seite gestellt bekommen. «Diese Arbeit basiert zu grossen Teilen auf Vertrauen. Bei jedem Wechsel beginnen sie quasi wieder von vorn», sagt Dörflinger.
Die Belastung des Fachkräftemangels in den eigenen Reihen beschreibt Dörflinger so: «Wir kommen nicht aus dem Notfallmodus heraus. Wir müssen unsere Arbeit täglich priorisieren. Wochenpläne können wir zwar machen, die sind aber meist nicht länger als einen Tag umsetzbar, da ein dringender Fall jederzeit hereinkommen kann.» Ein Balanceakt, der den Mitarbeitenden zusetzen kann. Denn: dringliche Fälle werden vorrangig behandelt. Mindestens so herausfordernd wie der eigene Fachkräftemangel sei auch der Fachkräftemangel bei den Versorgungs- und Hilfsangeboten. «Ambulante Kinder- und Jugendpsychiatrien und die Psychiatrien für Erwachsene sind völlig überlaufen, ebenso die stationären. Auch Pflegefamilien gibt es nicht wie Sand am Meer», sagt Dörflinger. «Wir können nicht sagen, ab einer gewissen Anzahl Meldungen, machen wir den Laden dicht – wir müssen einfach triagieren. Deshalb sei man froh, Springer bei der Behörde zu haben, die schon länger dabei sind. «Sie entlasten uns sehr. Sie kennen die Materie und mussten nur die Abläufe und kantonalen Gegebenheiten lernen», sagt Dörflinger. Die Springer sind bei einer Organisation angestellt und entsprechend teurer – da auch dies Organisation kostet.
Das Budget für das Personal der Kesb Appenzell Ausserrhoden wurde 2023 erhöht, dennoch konnten nicht genügend geeignete Personen für die Stellen in der Behörde gefunden werden. Auf eine Stellenausschreibungen folgen meist wenig Bewerbungen – vergangenes Jahr kamen zwölf auf drei Stellenausschreibungen. «Einige davon kamen auch aus dem Ausland – und da funktioniert das System und das Recht anders. Zudem muss es dann fachlich und menschlich noch passen. Wir hatten auch unqualifizierte Bewerbende, die vom Job eine falsche Vorstellung hatten», so Dörflinger. 80 Prozent der Fälle würde man zusammen mit den Klientinnen und Klienten auf einen guten Weg bringen, bei 20 Prozent erlebe man teils viel Widerstand. Dafür brauche man ein dickes Fell, weswegen ein gutes Team das Wichtigste sei, um das mitzutragen. Wer noch nie bei einer Kesb gearbeitet habe, sei nach rund zwei Jahren richtig eingearbeitet – der Aufwand ist also für die bestehenden Mitarbeitenden gross, bis die Leute angekommen sind. «Wenn sie dann nach zwei, drei Jahren wieder kündigen, ist das für uns natürlich schlecht», so Dörflinger. Wer für die Kesb arbeitet, braucht eine gute Selbstorganisation, muss gut triagieren können, entscheidungsfreudig ohne übereifrig sein und man muss viel und gut schreiben. «Die Entscheide, die wir schreiben, sind wie ein Urteil. Und deshalb ist es wichtig, sie verständlich und fair zu verfassen – ausserdem sollten die Entscheide den Betroffenen nach Möglichkeit eine Perspektive aufzeigen», sagt Dörflinger.
Nebst Fachkräftemangel veränderten sich auch die Fälle. «Sie werden immer komplexer, sprich sind aufwendiger und benötigen viel Zeit», so Dörflinger. Gerade auch Fälle, in denen es um Jugendliche geht, hätten zugenommen. «Unser Job ist es unter anderem, dafür zu sorgen, dass sie eine Ausbildung machen können, damit sie später auf eigenen Beinen stehen können. Es ist aber ein schwieriges Alter und oft ist bereits in jüngeren Jahren einiges nicht gut abgelaufen – manchmal kommen Drogen, eine Gamesucht oder eine Traumatisierung hinzu», sagt Dörflinger. Seiner Ansicht nach dürfte sich die Komplexität der Fälle künftig noch verschärfen. «Die Dinge, die in der Gesellschaft passieren, spüren wir sehr direkt und ungefiltert», so der Präsident der Kesb. Gehe es «der Gesellschaft» schlecht, hätten sie mehr zu tun.
Es gibt dennoch Gutes zu vermelden. Da Dörflinger Anfang des kommenden Jahres in Pension geht, wurde eine Nachfolge gesucht – und in Nadine Küng nun gefunden. Sie ist aktuell die Vizepräsidentin. Und auch wenn die Situation derzeit keine einfache sei, so ist es Dörflinger wichtig zu betonen, dass die Arbeit bei der Kesb sinnstiftend sei und es dabei auch viele motivierende Momente gebe. Seit 2009, als es die Kesb wie sie heute existiert, noch gar nicht gab, ist er im Job. In Chur konnte er die Vormundschaftsbehörde im Hinblick auf die Kesb aufbauen, 2013 wurde das Modell auf den ganzen Kanton Graubünden angewendet. 2016 kehrte er schliesslich in die Heimat zurück und ist seither Präsident der Kesb Ausserrhoden. Dörflinger hat seinen Job stets gern ausgeführt. «Es ist unglaublich spannend – es ist ein so sinnvoller Beruf. Es ist befriedigend zu sehen, dass wir für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die in einer schwierigen Situation waren, etwas auf die Beine stellen und ihnen aus dem Gröbsten heraushelfen konnten – auch wenn das nicht immer möglich ist», sagt Dörflinger. Sei man von von innen heraus motiviert, Menschen zu unterstützen, könne man viel bewegen. «Die Themenbereiche sind so vielfältig, wie die Menschen es sind», sagt Dörflinger. Zudem glaubt er, dass sich die Situation verbessern wird. Die Tendenz, dass sich Fachkräfte als «Springer» engagieren statt sich in eine Behörde wählen zu lassen, schätzt er als vorübergehenden Trend ein. Im Erwachsenenschutz gibt es die Möglichkeit, einen Vorsorgeauftrag zu machen, dann braucht es keine Beistandschaft, das dürfte die Kesb entlasten. «Und geht es 'der Gesellschaft' wieder besser, werden wir wieder weniger zu tun haben.»
Stefanie Rohner
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