Michelle Kolb
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Vor 200 Jahren entstand das vielgesungene Lied «Lueget vo Berg und Tal». Es wurde von St.Gallern gedichtet und komponiert. Das Gedicht stammt von Josef Anton Henne (1798 bis 1870), das Lied von Ferdinand Fürchtegott Huber (1791 bis 1863). Beide unterrichteten im Institut Hofwil bei Bern, sodass ein enges Zusammenwirken bei der Schaffung dieses Liedes möglich wurde.
Volkslied Zweifellos ist «Lueget vo Berg und Tal» Ferdinand Hubers bekanntestes Lied. «Und nicht ohne Grund, denn hier haben sich Gedicht und Melodie in derart idealerweise zusammengefunden», schreibt Walther Rüsch in seiner Ferdinand-Huber-Biografie von 1932. «Niemals ist eine Alphornweise schöner in künstlerische Form gebracht worden wie hier. Es ist für Sopran- und Altstimmen mit einem ganz einfach begleitenden Bass geschrieben, also für den unmittelbaren Gebrauch». Das Lied hatte ursprünglich noch keinen Jodel, wohl aber dann in einer späteren, gedruckten Form unter den «Dreistimmigen Gesängen zur Unterhaltung», die Huber in St.Gallen veröffentlichte. Hier folgt nach dem Lied ein Jodel in anmutigster Bewegung. Die gesamte Komposition offenbart einen genialen Harmoniker. Zurecht ist Ferdinand Huber mit Blick auch auf seine anderen Lieder zur Bergwelt auch Schweizer Nationalsänger genannt worden. Ermöglicht wurde das Zusammenwirken von Dichter und Komponist für das einzigartige Lied, da beide am pädagogisch fortschrittlichen Institut Hofwil bei Bern als Lehrer wirkten. Den Text widmete Henne dem Institutsleiter Johann Jacob Wehrli, dem «Freund Wehrli und seinen Zöglingen» als «Abendlied für Wehrlikinder». Hier ist auch der Grund zu suchen, weshalb Henne als Ostschweizer versuchte, die Urfassung in Berner Mundart zu verfassen. Die Wahl einer ihm fremden Mundart wird damit verständlich.
Josef Anton Hennes Vorfahren stammten aus Oberstaufen im Allgäu. Mit zwölf Jahren wurde Henne Schüler im Klosters Pfäfers, das er mit 17 Jahren verliess, um in Heidelberg und Freiburg im Breisgau zu studieren. Nach Lehrerstellen in Hofwil bei Bern und St.Gallen, wo er, wie er selbst formulierte, von der Katholischen Kantonsschule vertrieben wurde, war er von 1842 bis 1855 ausserordentlicher Professor für Geschichte an der Universität Bern. In dieser Zeit begann sich Henne auch politisch zu betätigen und wurde ein umstrittener Exponent des politischen Radikalismus und Gegner des Ultramontanismus (romtreuer politischer Katholizismus) in St.Gallen. Oft vertrat er in seiner Arbeit kontroverse und eigenwillige Ansichten. Nach dem Verlust seiner Stellung in Bern wurde er St.Galler Stiftsbibliothekar, eine Stelle, die er wegen seiner politischen Haltung ebenfalls wieder verlassen musste. Von 1862 bis zu seinem Tod war er Sekretär des St.Galler Erziehungsdepartementes. Er bearbeitete auch Sagen und Volksbräuche. Sein Abendlied «Lueget vo Berg und Tal» veröffentlichte er erstmals in seinem Werk «Lieder und Sagen aus der Schweiz» mit weiteren volkstümlichen Schweizer Liedern. Er verfasste auch verschiedene Werke zur Schweizer Geschichte und Kampfschriften.
Über Ferdinand Fürchtegott Huber erschien im St.Galler Neujahrsblatt 1898 eine Biografie von Karl Nef. Der Autor würdigte Huber als denjenigen, der unter allen Schweizer Komponisten die Schweizer Eigenart am besten zum Ausdruck gebracht habe: «Er ist der echte Sänger der Berge». Huber wurde als jüngstes von neun Kindern des St.Galler Stadtpfarrers geboren. Schon in seinem vierten Lebensjahr wurde sein auffallendes Musiktalent und sein feines musikalisches Gehör entdeckt, das er von seiner Mutter geerbt hatte, die in der Aufführung von Oratorien mitwirkte. Als Achtjähriger kam er, nachdem er seinen Vater verloren hatte, als Verdingbub zu einem Kaufmann nach Lippstadt, wo er häufig zu dessen Violinspiel sang. Nach sechs Jahren kehrte er, plattdeutsch sprechend, nach St.Gallen zurück. Bald ging es aber wieder nach Deutschland, um in Stuttgart das Musikhandwerk zu erlernen. Zuletzt wurde er Hoftrompeter im königlich-württembergischen Orchester. Die erste Musiklehrerstelle fand er im Institut Hofwil bei Bern. Nach neun Jahren kehrte er zurück nach St.Gallen, um hier eine Lehrerstelle anzutreten. Er gründete im gleichen Jahr die erste Turnanstalt in St.Gallen und eine Militärmusik, zu der ihn die Regierung als Kapellmeister ernannte. 1824 wurde er Musiklehrer am Gymnasium. Daneben inszenierte er Opern im Theater. 1829 zog es ihn wieder nach Bern. 1843 wurde er als Lehrer für Orgel-, Klavier- und Violinspiel am Lehrerseminar der Katholischen Kantonsschule angestellt, später unterrichtete er Musik an verschiedenen St.Galler Schulen. Er schuf viele Werke für Männerchöre und brachte damit auch sein tiefes religiöses Empfinden zum Ausdruck. Seine Lieder entstanden in enger Anlehnung an die St.Galler Volksmusik. Sein Nachlass befindet sich in der Kantonsbibliothek Vadiana. Zu seinen Ehren ist an der Dufourstrasse ein kleiner Park mit Denkmal errichtet worden.
Von Franz Welte
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