Ursula Forrer
feierte mit der Stiftung Zeitvorsorge das 10-Jahres-Jubiläum.
Um den Traum vom Fliegen zu verwirklichen, zog es Urs und Marianne Schildknecht in die Weiten von Kanada. Kaum 20 Jahre alt stürzten sie sich ins Abenteuer und manövrieren
Abflug Urs und Marianne Schildknecht lernten sich 1975 während ihrer Schulzeit in St.Gallen kennen und lieben. Nachdem sie das KV abgeschlossen und er die Berufspilotenlizenz erworben hatte, bezogen sie eine gemeinsame Wohnung in der Stadt. Für einen Job als Buschpilot für Agip in der libyschen Wüste musste Urs 400 Flugstunden vorweisen, weshalb er und Marianne im August 1978 nach Daytona Beach in die USA reisten, um mit einer C- 150 die benötigten Stunden zu erreichen. «Wir liebten die Freiheit, die man im Westen der USA beim Fliegen hat und beschlossen nach unserer Rückkehr in die Schweiz, später dahin auszuwandern», erinnert sich Marianne.
Aufgrund der begrenzten Perspektiven von Urs als Buschpilot in der Schweiz, planten sie, ihr Glück im Westen zu suchen. «Ich wollte nur mit ihm zusammen sein», sagt Marianne, «mir war es egal, wo wir uns niederlassen würden. Wahrscheinlich wäre ich mit ihm auch zum Mond geflogen.» Weil sie jedoch für die USA kein Arbeitsvisum erhielten, wandten sie sich an die kanadischen Behörden und hatten Glück. Im November 1978 heirateten sie, und ein knappes halbes Jahr später wanderten sie im Frühjahr 1979 nach London, Ontario, aus. «Ich war damals knapp 20 und Urs 21», erinnert sich Marianne, «wir waren jung, abenteuerlustig und die ganze Welt stand uns offen.» In London fühlte sich das frischgebackene Ehepaar jedoch nicht wohl, und sie reisten westwärts nach Vancouver, wo er als Maschinenmechaniker und sie als Spediteurin in einer deutschen Firma arbeitete. Nach anderthalb Jahren begannen sie sich nach einem kleinen Flugzeug-Unternehmen umzuschauen und fanden einen «Ein-Mann-Betrieb» in Fort Liard, einem 500 Seelen-Dorf am gleichnamigen Fluss. Ab 1981 lebten sie fünf Jahre in dieser abgelegenen Gemeinde, die erst 1984 mit dem Liard Highway erschlossen wurde. «Es war beeindruckend mitzuerleben, was mit der einst nur über den Luftweg erreichbaren Gemeinde geschah, als sie über Land zugänglich wurde», sagt die heute 65-Jährige.
Die Jahre in Fort Liard waren geprägt von Herausforderungen, aber auch von unglaublichen Erfahrungen. «Während unserer zahlreichen Flüge über die wunderbare Landschaft haben wir viele grossartige, abgelegene und unerschlossene Angelseen entdeckt und wir beschlossen, ein Fly-in-Angelgeschäft aufzubauen », informiert Marianne. Im Herzen der kanadischen Rocky Mountains stand die Highland Glen Lodge am Muncho Lake zum Verkauf. Das Anwesen sei der ideale Ausgangspunkt für ihre Trips mit ihren Wasserflugzeugen gewesen, auch wenn die bestehenden Gebäude nicht mehr den Erwartungen der Gäste entsprachen. «Mit der Asphaltierung des Alaska Highways Anfang der 1990er-Jahre veränderte sich das Reiseverhalten und wir nutzten die Verbesserung der Strasse 1995 dazu, die 14'000 Quadratmeter grosse Northern Rockies Lodge zu bauen», erzählt die Auswanderin. Bis heute ist es der grösste ganzjährige Hotel- und Wohnmobilbetrieb ausserhalb der Städte am Alaska Highway.
Nie verspürten sie Heimweh, denn ihre Liebe zur Natur und ihrer unkonventionellen Lebensweise machte jeden Tag zu einem Abenteuer. «Anfangs war es nicht einfach und es erforderte Entschlossenheit und Durchhaltevermögen», erinnert sich Marianne, «aber wir lieben bis heute das, was wir tun und das strahlt auf unsere Gäste aus.» Die beiden Söhne Daniel und Michael wuchsen inmitten der atemberaubenden Landschaft der kanadischen Wildnis auf. Mit der Zeit entwickelten sie dieselbe Leidenschaft für das Fliegen und die Natur. Daniel (32), der in Adelboden eine Kochlehre absolvierte, arbeitet als Küchenchef in der Lodge und Michael (28), ist Elektriker und unterstützt den Familienbetrieb so gut es geht. Beide arbeiten daran, die kommerzielle Fluglizenz zu erhalten und profitieren von der reichen Erfahrung ihres Vaters, der sie trainiert. Der 67-Jährige ist mittlerweile seit 49 Jahren Pilot und kümmert sich um die Ausflüge der Gäste, derweil Marianne die Buchhaltung erledigt, Angestellte sucht und den Garten pflegt. «Hier gefällt es uns», offenbart Marianne, «kein Shopping, nur Natur pur.» Der jadegrüne See lädt zum Schwimmen und Kanufahren, die majestätischen Berge zum Wandern und die fisch- und wildreiche Region zum Jagen und Entdecken ein. Dank Dieselgenerator haben sie Strom und zweimal in der Woche werden Lebensmitteln geliefert.
«Wir haben die Schweiz nie vermisst », sagt Marianne. «Wenn man beim Auswandern jung ist, kann man sich gut in einem neuen Land einleben. » Weder bereuen sie ihre Auswanderung, noch würden sie etwas anders machen. Trotzdem lieben sie die Schweiz nach wie vor. Ihre besten Freunde in Kanada seien Schweizer, und jährlich verbringen sie ihren Urlaub in der Schweiz, um Familie und Freunde zu treffen und ihren Kindern Land und Kultur zu zeigen. Die Eltern von Urs wohnen immer noch im Osten der Stadt. Ausserdem nutzen sie die Reise, um sich mit feiner Schweizer Schokolade einzudecken. «Wir haben uns integriert und die kanadischen Gepflogenheiten übernommen», erklärt die Auswanderin, «dennoch sind wir immer noch typisch schweizerisch pünktlich.» Für die nächsten Jahre seien sie mit der Lodge und den Ausflügen voll beschäftigt, zumal es langsam darum gehe, alles an ihre Söhne zu übergeben. «Solange wir gesund sind, werden wir sie dabei unterstützen», sagt Marianne. Trotzdem werde man älter, aber ihre Lust aufs Reisen und Entdecken sei nach wie vor ungebremst. Das Ehepaar möchte vermehrt nicht nur Kanada, sondern auch Europa und die USA bereisen. Auch können sie es sich vorstellen, öfter in die Schweiz zu reisen, «aber wir haben die Jungs hier», sagt Marianne, «wir lieben die frische Luft, die unberührte Natur und die Weite. Kanada ist unser Zuhause. »
Von Benjamin Schmid
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