Samuel Zuberbühler
will mit Zwischennutzung des Waaghauses die Innenstadt beleben.
Gestern wurde der Film «Die Tabubrecherin» zum ersten Mal in der Lokremise St.Gallen aufgeführt. Mit dabei war auch das Schweizer Filmemacher-Paar Silvia Haselbeck und Erich Langjahr, die den Film realisierten. Der Film zeigt auf, dass man dem letzten Lebensabschnitt auch mit Positivität begegnen kann.
Film «Ich sammle Leben, nicht Jahre», sagt Michèle Bowley im Film. Sie ist die Hauptdarstellerin in Silvia Haselbecks und Erich Langjahrs neuem Film «Die Tabubrecherin». Das Besondere: Michèle Bowley war zum Zeitpunkt, als der Film zum ersten Mal auf einer Kinoleinwand erschien, bereits tot. Der Film erzählt die Geschichte des letzten Lebensabschnitts von Michèle Bowley. 2020 wurde die damals 64-Jährige mit der Diagnose «unheilbarer Hirntumor» konfrontiert. Die Ärzte prognostizieren damals, dass sie nun noch drei bis sechs Monate zu leben habe. Während andere nach so einer Hiobsbotschaft den letzten Rest Lebensfreude verlieren, lässt sich Bowley voll auf dieses «Abenteuer» - den Sterbeweg - ein.
Die Filmemacher begannen Michèle Bowley bereits kurz nach ihrer Diagnose zu begleiten. Die Zuschauerinnen und Zuschauer werden auf den Sterbeweg von Anfang an mitgenommen. Dazu gehört auch das Klären praktischer Fragen. Michèle Bowley musste beispielsweise ihre eigene Abdankung vorbereiten, ihre Buchhaltung in die Ordnung bringen oder sich überlegen, was mit Ihrer Asche geschehen soll. Bowley war in der Vorbereitung auf ihren Tod allerdings noch etwas anderes wichtig. «Es war für sie ein Bedürfnis, ihre Erfahrungen, die sie mit dem Sterben macht, weiterzugeben. Sie wollte ihre Geschichte erzählen. So hat Bowley in dieser Zeit, in der wir den Film gedreht haben, auch Blogg Beiträge verfasst und sogar zwei Bücher veröffentlicht», so Haselbeck. Der Film zeigt alle Fassetten des letzten Lebensabschnitts: Von den verschiedenen medizinischen Abteilungen, die sie durchläuft, bis hin zu spirituellen Erfahrungen, die sie macht. Dies war auch deshalb möglich, weil der Film während der Dreharbeiten eine überraschende Wendung nahm, der den Filmemachern Zeit mehr verschaffte. Die ursprüngliche Prognose, Michelè Bowley habe nur noch wenige Monate zu leben, bewahrheitet sich nicht. Sie lebt noch zweieinhalb Jahre weiter. «Dieses Auf und Ab, das man auch im Film erlebt, war auch für uns emotional nicht einfach», erklärt Langjahr. «Es war ursprünglich geplant, dass Michèle Bowley mit uns an die Film-Präsentationen kommt und dem Publikum Rede und Antwort steht. Genau wie die Zuschauerinnen und Zuschauer wussten auch wir bis zuletzt nicht, dass Michèle Bowley noch im Film sterben würde.»
Die Filmemacher begleiteten Bowley schlussendlich während der gesamten zweieinhalb Jahre. Entstanden ist dabei nicht etwa schwere Kost, sondern ein lebensbejahender Film, der Einblicke in eine unbekannte Lebenswelt gibt. «Uns war es sehr wichtig, dass Thema ‘Sterben’ positiv zu beleuchten. Der Film soll nicht traurig stimmen, sondern Mut machen. Mit Michèle Bowley hatten wir jemanden gefunden, der zu 100 Prozent hinter dem Film stand und zudem noch die richtige Einstellung hatte. Sie war genau die Person, die wir uns für dieses Projekt gewünscht hatten», so Langjahr. Die Idee für den Film hatten die beiden bereits vor 15 Jahren. 2009 veröffentlichten sie den Film «Geburt». Darin begleiteten sie zwei Gebärende und zwei Hebammen und zeigten den Zuschauerinnen und Zuschauern das Phänomen des ersten Atemzugs. «Schon damals wussten wir, dass wir, dasselbe auch einmal mit dem letzten Atemzug machen wollen. Für uns war klar: Wenn wir jemanden finden, der eine positive Sicht auf den letzten Lebensabschnitt hat und sich bereit erklärt, dabei begleitet zu werden, werden wir wieder etwas Ähnliches realisieren», so Langjahr. Der Film will das Tabu «Sterben» brechen. Er zeigt Seiten des Leben, über die man für gewöhnlich nicht spricht. Der Titel des Films «Die Tabubrecherin» entstand während der Dreharbeiten. «Sie sass mit ihrer Psychoonkologin auf einer Parkbank in der Nähe des Spitals, in dem sie zu jener Zeit behandelt wurde und sagte: Ich möchte das Tabu ‘Sterben’ brechen. Wir wussten sofort, dass das unser Filmtitel sein muss», so Langjahr.
Der Film nimmt das Publikum mit auf ein 89-minütiges Abenteuer, das den Tod als Teil des Lebens feiert. Der Film soll Zuversicht schüren, aber auch Ängste nehmen. «In unserem Film stellen wir elementare Fragen, die sich jeder irgendwann stellen muss», sagt Haselbeck und fügt an, «Ich glaube, dass Michèle Bowley so offen mit dieser Situation umgegangen ist und über das Sterben geredet hat, kann vielen Leuten helfen.» In St.Gallen wurde der Film gestern Abend in der Lokremise zu ersten Mal dem Publikum präsentiert. Bei der ausverkauften Veranstaltung waren auch Haselbeck und Langjahr zugegen und beantworteten Fragen aus dem Publikum. Weitere Vorstellungen in der Lokremise finden noch am Sonntag, 27. Oktober um 15.40 Uhr und am Donnerstag, 31. Oktober um 16.20 Uhr statt. Eine Vorführung unter Anwesenheit von Haselbeck und Langjahr gibt es auch in Herisau. Diese findet am 2. November um 17 Uhr statt.
Selim Jung
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