Samuel Zuberbühler
will mit Zwischennutzung des Waaghauses die Innenstadt beleben.
Gabriella Schmid.
47 Millionen Kinder und Jugendliche waren 2023 weltweit auf der Flucht vor Krieg, Konflikten und Verfolgung. Viele leiden an Angstzuständen, Depressionen und Schlafstörungen und sind dadurch in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Gabriella Schmid leitet den CAS Traumapädagogik und Traumaberatung an der OST und erklärt im Interview, was es bedeutet, wenn ganze Generationen Traumata erleben.
Gabriella Schmid, welchen Einfluss haben traumatisierende Ereignisse auf Kinder und Jugendliche?
Kinder und Jugendliche sind besonders verletzlich, da sie sich noch in der Entwicklung befinden. Sie verfügen nicht über die gleichen Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten wie Erwachsene, um mit belastenden Erfahrungen wie Krieg, Flucht und Verfolgung umzugehen. Zudem sind sie häufig von verschiedenen Formen von Gewalt betroffen – im Herkunftsland, auf der Flucht und auch im Aufnahmeland. Es ist schwierig, allgemeingültige Aussagen zu treffen. Wie ein Mensch auf ein traumatisches Ereignis reagiert und welche Folgen daraus entstehen, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Wie äussert sich das?
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass traumatische Erlebnisse gerade in der Kindheit Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns haben können. Mit neurologischen Verfahren konnte nachgewiesen werden, dass sich bestimmte Hirnregionen durch die Traumatisierung nicht so entwickeln konnten, wie es normalerweise der Fall wäre. Hinzu kommt, dass Kinder und Jugendliche in Kriegen oder auf der Flucht oft nicht nur einmal, sondern mehrfach traumatisiert werden. Lernbehinderungen, mangelnde Impulskontrolle, Angstzustände und Depressionen können unter anderem die Folgen davon sein.
Sie sagen, es seien nicht alle geflüchteten Kinder und Jugendlichen traumatisiert. Worauf kommt es an?
Es kommt auf die Schutz-, Risikound Ereignisfaktoren an. Schutzfaktoren können die Folgen eines traumatischen Ereignisses mildern. Das kann eine fürsorgliche und liebevolle Familie sein, die alles versucht, um das Kind zu beschützen. Auch wenn Kinder zum Beispiel besonders intelligent oder resilient sind, können die Folgen eines Traumas abgemildert werden. Risikofaktoren hingegen tragen zur Traumatisierung bei. Dazu gehören Vorbelastungen, wie wenn zum Beispiel ein Kind bereits einen Elternteil im Krieg verloren oder Gewalterfahrungen in der Familie gemacht hat. Sind die Kinder und Jugendlichen allein auf der Flucht, ist dies ein zusätzlicher Risikofaktor. Mit Ereignisfaktoren ist zum Beispiel gemeint, welches Ausmass die Gewalt hatte, wie häufig sie erlebt wurde, ob es auch zu physischen Verletzungen gekommen ist.
Gibt es Möglichkeiten, diese langfristigen Folgen abzufedern?
Ja, wenn die geflüchteten Kinder und Jugendlichen im Aufnahmeland gute Bedingungen vorfinden. Wenn sie gut aufgenommen und ausreichend betreut werden, soziale Kontakte knüpfen können und vielleicht sogar eine Therapie oder eine Ausbildung machen können. Das kann eine grosse Chance sein, die Erfahrungen zu korrigieren und die Auswirkungen abzumildern. Es spielt eine Rolle, was nach den traumatischen Erlebnissen passiert.
Erhalten die geflüchteten Kinder und Jugendlichen in der Schweiz diese Unterstützung?
Sie brauchen einen traumapädagogischen Ansatz, aber die Ressourcen im Schweizer Flüchtlings- und Asylwesen sind sehr knapp. Zudem besteht meist eine grosse Unsicherheit, ob die Betroffenen überhaupt in der Schweiz bleiben können. Dies führt zu einem erhöhten Risiko, dass insbesondere junge Männer «auffällig » werden und möglicherweise in Kriminalität, Fanatismus oder Suizidalität abrutschen. Viele Folgeerscheinungen der Traumata könnten gemindert werden, wenn mehr Ressourcen für Betreuung zur Verfügung stünden.
Wie kann die Traumapädagogik da helfen?
Wenn jemand frisch traumatisiert ist, braucht es zunächst eine Krisenintervention zur Stabilisierung. Fachleute der Sozialen Arbeit können diesen Kindern und Jugendlichen eine gewisse Sicherheit und Stabilität aufbauen. Besonders wenn die Geflüchteten Gewalt durch andere Personen erfahren haben, ist der Vertrauensaufbau wichtig, damit sie wieder lernen, anderen Menschen zu trauen.
Wie sieht eine Traumatherapie für Kinder und Jugendliche aus?
Das ist sehr individuell. Nicht alle geflüchteten Kinder und Jugendlichen brauchen eine Traumatherapie und manche können oder wollen sich nicht darauf einlassen. Denn eine Traumatherapie ist ein schwieriger Prozess: Die Traumatisierten müssen sich mit dem Trauma auseinandersetzen. Das setzt eine gewisse Stabilität voraus. Gerade bei Jugendlichen sollte deshalb kein Druck ausgeübt werden. Mit Kindern arbeitet man in der Therapie ganz anders als mit Erwachsenen, viel spielerischer. Was mich immer wieder überrascht, ist, dass Kinder eine enorme Selbstheilungskraft haben. Es gibt Studien, die zeigen, dass viele Kinder mit einer Traumatisierung sich mit der Zeit selbst davon erholen können, wenn sie ausser Gefahr und in Sicherheit sind.
Interview von Nora Lüthi
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