Rafael Scholten
vertritt die Schweiz an der Weltmeisterschaft der Zauberei in Turin.
2025 steht im Zeichen der Schafgarbe: Die Wildpflanze mit Geschichte und Heilkraft wurde zur Wildstaude des Jahres gewählt. Kräuterfrau Karin Thürlemann aus Grub erklärt, warum das längst überfällig war.
Heilpflanze Wer durch die sanften Hügel rund um Grub im Appenzellerland wandert, wird ihr bald begegnen: der gewöhnlichen Wiesen-Schafgarbe, botanisch Achillea millefolium. Ihre feinen, weiss bis rosa gefärbten Blütendolden nicken sanft im Wind, ihr Aroma ist herb und würzig. Für Karin Thürlemann ist die Schafgarbe seit langem eine enge Vertraute. «Sie ist eine stille Begleiterin mit grosser Wirkung», sagt die 47-jährige Kräuterexpertin und Inhaberin der Kräuterei in Grub. Dass die Pflanze nun zur «Wildstaude des Jahres» gekürt wurde, freut sie besonders – «eine Pflanze, die in der Schweiz nahezu überall zu finden ist und dennoch oft übersehen wird.» Für Thürlemann ist diese Entscheidung ein Zeichen wachsender Wertschätzung für heimische Wildpflanzen: «Die Schafgarbe ist unscheinbar, aber unglaublich kraftvoll – ökologisch, heilkundlich und symbolisch.» Die Wahl zur Wildstaude des Jahres sei «längst fällig gewesen», findet sie. «Die Schafgarbe hat in ihrer stillen Art viel zu erzählen – man muss nur hinhören.»
Die Schafgarbe gehört zu den
klassischen Heilpflanzen Europas. Schon in der Antike wurde sie geschätzt – ihr lateinischer Name geht auf Achilles zurück, der sie der Legende nach zur Wundheilung bei seinen Soldaten nutzte. «Auch Hildegard von Bingen erwähnte sie als eine der besten Pflanzen zur Behandlung von Wunden», so Thürlemann. Heute wird sie in Phytotherapie, Homöopathie, Aromatherapie und als Räucherpflanze verwendet. Ihre Wirkstoffe sind vielseitig: Sie wirkt entzündungshemmend, blutstillend, krampflösend und verdauungsfördernd. Frauen schätzen ihre regulierende Wirkung bei Menstruationsbeschwerden. «Sie stärkt nicht nur den Körper, sondern auch die Seele», sagt Thürlemann. «Ihr Duft hilft, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden – das braucht es in unserer Zeit besonders.»
Nicht nur aus heilkundlicher Sicht ist die Wahl der Schafgarbe zur Wildstaude des Jahres begründet. Auch ökologisch spielt sie eine Schlüsselrolle in heimischen Ökosystemen. Sie wächst an Wegen, auf Wiesen, Geröllflächen und sogar auf Alpweiden bis in 2100 Meter Höhe. Als sogenannter Ubiquist kommt sie mit unterschiedlichsten Bedingungen klar – sei es Dürre, Hitze oder Kälte. «Diese Anpassungsfähigkeit macht sie zu einer klimaresilienten Wildpflanze», betont Thürlemann. Dabei ist sie nicht nur Überlebenskünstlerin, sondern auch Lebensspenderin: Rund 80 Wildbienenarten – darunter zehn auf Korbblütler spezialisierte Arten – sammeln Pollen und Nektar bei der Schafgarbe. Daneben ernähren sich auch Schmetterlinge, Schwebfliegen, Marienkäfer und über 30 Raupenarten von ihr. «Sie ist ein Buffet für Insekten bis in den Spätherbst hinein.»
Auch für Gärtnerinnen und Gärtner ist die Schafgarbe eine wahre Freude. Ihre robusten Wurzeln stabilisieren Böden, sie vertreibt Schnecken, verstärkt die Widerstandskraft benachbarter Pflanzen und hilft sogar beim Kompostieren. «Sie ist eine Bodenheilerin», erklärt Thürlemann. «Und sie sieht auch noch wunderschön aus.» Neben der Wildform, die als besonders widerstandsfähig gilt, gibt es zahlreiche Züchtungen in zarten Pastelltönen, kräftigem Rot oder warmem Gelb. Wer naturnahe Beete anlegen möchte, kann sie mit Lavendel, Sonnenhut oder Kugeldisteln kombinieren. Auch in der Küche hat die Schafgarbe ihren Platz: Die jungen Blätter verfeinern Wildkräutersalate und Suppen, sogar Desserts lassen sich mit ihrem herben Aroma veredeln. Thürlemann lacht: «Früher wurde Bier mit ihr gewürzt – heute landet sie bei mir im Frischkäse oder im Frühlingsrisotto.»
In alten Zeiten galt die Schafgarbe als magische Pflanze. Man räucherte mit ihr, um Schutz zu erlangen oder Klarheit zu finden. «Ihr Duft, sagt man, lasse Himmel und Erde zusammenkommen», zitiert Thürlemann ein altes Sprichwort. «Sie führt zum eigenen Zentrum zurück – das ist gerade in einer schnelllebigen Welt ein schönes Bild.» Wer heute also einen bewussteren Lebensstil pflegt, liegt mit der Schafgarbe goldrichtig. Sie verbindet Schönheit mit ökologischer Bedeutung, Heilwirkung mit kultureller Tiefe. Und sie ist – gerade durch ihre Bescheidenheit – ein starkes Symbol für das, was in der Natur oft übersehen wird. «Ich wünsche mir, dass Menschen wieder lernen, genauer hinzuschauen», sagt Thürlemann. «Die Schafgarbe steht für stille Stärke. Und die brauchen wir heute mehr denn je.»
Heimatnah & robust: Wächst von Wiesen bis in die Alpen, kommt mit Trockenheit, Hitze und Kälte zurecht.
Wichtig für Insekten: Über 80 Wildbienenarten sowie viele Schmetterlinge und Käferarten sind auf sie angewiesen.
Heilpflanze mit Tradition: Seit der Antike als Wundheilmittel genutzt.
Wertvoll im Garten: Fördert Kompost, wird von Schnecken gemieden, stärkt benachbarte Pflanzen.
Genussreich: Verwendbar als Würz- und Wildkraut in der Küche.
Von Benjamin Schmid
Lade Fotos..