Alfred Zwickl
amtet seit 1998 als Präsident des Ortsmuseums Wittenbach.
Gruss vom Jugendfest 1899. z.V.g.
In Riesenschritten gehen wir dem Jubiläums-Kinderfest entgegen, das nun seit zweihundert Jahren besteht und in dieser Zeit nur wenige Veränderungen erfuhr. Im Laufe der Geschichte ergaben sich aber verschiedene vergnügliche Situationen und Absichten.
Festgeschichte 1860 meldete der Besitzer der alten Festwiese, Daniel August Huber zum Scheggen, man solle sich für das Kinderfest einen anderen Platz suchen. Alles erschrak! Wohin sollte man sich wenden? Es hiess, die Ortsbürgergemeinde solle den Platz kaufen. Aber Huber verlangte für die sechs Hektaren den für damals sehr hohen Preis von 62'000 Franken. Sollte St.Gallen wirklich auf ihr grosses Fest verzichten? Da bot zum Glück ein edel gesinnter Bürger, Daniel Weyermann, 20'000 Franken an die Kaufsumme, wenn der Rat die Wiese erwerbe. So kam der Kauf zustande und das Kinderfest war gerettet.
Immer wieder gab es Klagen von Müttern wegen der Kosten für die Beschaffung der Kleider für ihre am Kinderfest teilnehmenden Kinder. Der Journalist und Schriftsteller Georg Baumberger schrieb in einem Aufsatz um 1900 dazu: «Mein Gott, bis es da ist, hat lieb Mütterchen redlich Plage damit, wenn es ein Schärlein schulpflichtiger Mädchen und Knaben sein eigen nennt. Mit den Buben geht es noch; die brauchen schliesslich nur ein leinenes Turngewand. Aber die Mädchen müssen alle nette weisse Kleidchen haben und das gibt manche Sorge.» Über Unterstützung wird bis ins beginnende 20. Jahrhundert wenig berichtet. Dann ist von der Hilfe unter anderem des Frauenvereins und der Schulverwaltung sowie von verbilligtem Verkauf von Stickereistoff die Rede, doch die Massnahmen konnten bis heute nicht in jedem Fall greifen.
1901 kam der verwegene Gedanke auf, das Kinderfest solle durch einen gemischten Reigen von Talhöflerinnen und Kantonsschülern bereichert werden. Die Lehrer hielten das für gefährlich. Die Lehrerkonferenz befürchtete, dass «die üblen Wirkungen, welche sich alljährlich in Folge der Tanzkurse nicht bloss bei einzelnen Mädchen, sondern bei ganzen Klassen zeigten», auch auf das Kinderfest übergreifen könnten. So mussten die Talhöflerinnen weiterhin allein ihren Reigen tanzen. 1911 schrieb die Schulverwaltung in einem Bericht zum durchgeführten Jugendfest: «Die Verpflegung war, die Festgäste und Kadetten ausgenommen, zum ersten Mal völlig alkoholfrei, was der Jugend gut beliebt hat.»
1924 wollte der Schulrat das Kinderfest durchführen, nachdem es aus Kostengründen über mehrere Jahre ausgesetzt worden war. Doch der Stadtrat lehnte dies ab mit der Begründung, das Geld dafür fehle nach wie vor. Hierauf wurde eine Sammlung gestartet, die 30'000 Franken ergab, worauf 1927 das Kinderfest nach 13-jähriger Pause endlich wieder auflebte. 1934 beantragte der Schulrat, das Fest, das den Schulbetrieb beeinträchtige, nur noch alle drei Jahre durchzuführen, wie dies heute der Fall ist. Der Gemeinderat war aber dagegen. Er argumentierte, das traditionelle Fest entspreche einem grossen Bedürfnis, wie die Besucherzahlen zeigten.
In den 1970er-Jahren erwies sich die den Kindern zugeteilte Kinderfest-Bratwurst mit einem Gewicht von 220 Gramm als zu gross. Viele Zipfel blieben übrig und mussten entsorgt werden, weil sie in den Kindermägen keinen Platz mehr fanden. Also entschloss sich die Schulverwaltung, künftig die Olma-Bratwurst mit einem Gewicht von 160 Gramm zu verabreichen, die immerhin 50 Gramm schwerer ist als die normale St.Galler Bratwurst. Das kam aber nicht überall gut an. Empörte Bürgerinnen und Bürger reklamierten, es ginge nicht an, dass die Stadt selbst am Kinderfest derart «schmörzelig» sei.
Es gab Kinderfeste, die vom Winde verweht oder gar reichlich begossen wurden. 1950 etwa, als die Regenschirme bereits beim Aufmarsch in den Kantonsschulpark gebraucht wurden. «Schaurig und traurig war’s», erinnerte sich Lehrer Heinrich Frei in der früher erschienenen Zeitschrift der Schulverwaltung. «Einige hundert der durchnässten Schüler durften in den heiligen Hallen beziehungsweise Schulzimmern der Kanti unterstehen. Menschenfreundliche Automobilisten anerboten sich, die enttäuschten Schüler samt Fahnen, Wimpel und Girlanden in ihre Schulhäuser zurückzubringen.» Damals entstand das geflügelte Wort vom «VollLandregen», nach dem Namen des damaligen Schulvorstandes Dr. Volland gebildet.
Das Fest musste auch 1968, 1971 und 1974 vorzeitig abgebrochen werden. Es stellte sich nach dieser Abbruch-Serie die Frage, wie sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einem Abbruch zu verhalten hätten. Der damalige Chefredaktor des «St.Galler Tagblattes», Hans Zollikofer, redete den Angestellten auf der Titelseite ins Gewissen, dass es eigentlich selbstverständlich sei, wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Seither wissen die St.Gallerinnen und St.Galler, was sie zu tun haben.
Eine Studienkommission trug sich 1977 mit der Absicht, dem Kinderfest ein ganz anderes Gesicht zu geben, etwa durch Mitführen historischer Sujets auch auf Wagen. Sie sah aber bald, dass sich dieser Plan nicht verwirklichen liess, ohne das Kinderfest zu einem schlechteren Fasnachtsumzug oder einem besseren Jahrmarkt zu machen. Nach dem Prüfen aller Möglichkeiten musste die Kommission erstaunt feststellen, dass bereits unsere Vorfahren den Festtag sorgfältig und verantwortungsvoll geplant hatten. So wurden auch in neuester Zeit nur behutsam Neuerungen vorgenommen.
Von Franz Welte
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