Harry Wirth
freut sich auf den Markt-Erlebnistag und wünscht sich viele Gäste.
Bei der Geburt ihres Sohnes Oliver 2021 war schnell klar, dass etwas nicht stimmt. Nur dank dem schnellen und richtigen Handeln der Ärzte hat er die ersten Stunden überhaupt überlebt. Seither ist die Familie Kradolfer mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, die sie aber nicht davon abhalten, ein erfülltes und glückliches Leben zu führen.
Genetik Gerade weil die Schwangerschaft von Brooks Kradolfer relativ beschwerde- und komplikationsfrei verlief, sass der Schock, den das Ehepaar bei der Geburt erlebte, umso tiefer. Ihr Sohn Oliver hatte grosse Mühe zu atmen, seine Gelenke waren komplett versteift, und er bewegte sich kaum. «Wir wussten sofort, dass etwas nicht stimmt», erinnert sich Simon Kradolfer. «Wir fühlten uns hilflos, insbesondere da Oliver unmittelbar nach der Geburt mit der
Rega auf die Intensivpflegestation des Kinderspitals verlegt wurde und wir ihn erst einen Tag später wieder gesehen haben.»
Nachdem Oliver stabilisiert werden konnte, gaben die Ärzte verschiedene Gentests in Auftrag und tauschten sich mit Fachärzten aus. Oftmals hätten die Ärzte ihren Verdacht geäussert, nur um dann neue Tests zu machen. «Vier Monate war es ein Leben zwischen Hoffen und Bangen», offenbart Brooks Kradolfer. Die Eltern pendelten zwischen Kinderspital, Ronald-McDonald-Haus und Arbeitsplatz. Von Simons damaligem Arbeitgeber hätten sie viel Verständnis und Unterstützung erhalten, weshalb das Ehepaar ihrem Sohn so oft wie möglich nahe sein konnte. Bei Oliver wurde schliesslich ein Gendefekt namens «kongenitale Titinopathie», eine Muskelschwäche, diagnostiziert. Einerseits hatten die Eltern Klarheit, doch wegen der Seltenheit der Erkrankung konnte andererseits keiner der Ärztinnen und Ärzte klare Aussagen zum weiteren Verlauf machen. «Die Klarheit, dass es für Olivers Erkrankung keine Medikamente oder Therapien gibt und dass er mit grosser Wahrscheinlichkeit lebenslang mit einem Tracheostoma beatmet werden muss, war im ersten Moment natürlich sehr enttäuschend», blickt der 34-jährige Vater zurück. «Immerhin war die Ungewissheit über die Diagnose vorbei und wir konnten unseren Sohn endlich nach Hause nehmen.»
Nach neun Monaten im Kinderspital konnten Brooks und Simon ihren Sohn nach Hause holen. Abhängig davon, welche und wie viele Einsätze die Kinderspitex leistet, gestalten sich die Tagesabläufe anders. Einmal in der Woche begleitet eine Mitarbeiterin der Kinderspitex Oliver in eine integrative Kita. Zwei- bis dreimal geht es für Logopädie, Ergo- und Physiotherapie ins Kinderspital und zusätzlich trainiert eine Logopädin zuhause gezielt mit Oliver, wie er sein augengesteuertes iPad für die Kommunikation verwenden kann. Dazu kommen unregelmässige Termine im Kinderspital oder beim Orthopäden für die verschiedenen Hilfsmittel, die Oliver benutzt. «Wir leben nach unserem gemeinsamen Google-Kalender», erklärt die 33-jährige Mutter, die 100 Prozent zu Hause ist, während Simon Vollzeit arbeitet. Weil Oliver aufgrund der Beatmung dauerüberwacht werden muss, schlafen seine Eltern in den Nächten, in denen keine Spitex kommt, bei ihm im Zimmer. Ohne die grosse Unterstützung der Kinderspitex, den generösen Einsatz der Ärztinnen und Ärzte sowie Fachpersonen des Kinderspitals und der wertvollen Stütze seitens Familie und verschiedener Vereine und Organisationen wie Cerebral Stiftung, KMSK oder Team Titin wäre der Alltag noch weit herausfordernder.
«Wir versuchen ein so normales Leben wie möglich zu führen und Oliver, wenn immer möglich zu integrieren», erzählt Brooks. «Leider ist es nicht einfach, Aktivitäten oder Spielplätze zu finden, die integrativ sind.» Es fehle an barrierefreien Toiletten mit Wickeltischen nicht nur für Babys, sondern für Menschen jeden Alters sowie integrative Kitas, Kindergärten oder Schulen. «Wir lassen uns davon nicht abhalten, Veranstaltungen zu besuchen und zu versuchen, an typischen Gemeinschaftsaktivitäten teilzunehmen», sagt Simon. Gerade wenn sie unterwegs seien, insbesondere wenn sie auswärts übernachteten, benötigen sie immer sehr viel Material und viele Geräte. Trotz der Widrigkeiten hat die Familie schon die Urgrosseltern in den USA besucht oder der gemeinsamen Leidenschaft für den FC St.Gallen gefrönt. Glücklicherweise hätten sie mehr gute statt schlechte Tage, an denen ein Infekt oder eine Krankheit Olivers Atmung und Lungen belasten und sie vor der schwierigen Entscheidung stünden, ob sie ihn zu Hause behalten oder besser den Notfall im Kinderspital aufsuchen. Grundsätzlich schauen sie nicht zu weit in die Zukunft, sondern nehmen Tag für Tag. «Wir sind uns bewusst, dass uns zukünftig immer wieder neue Herausforderungen begegnen werden», sagt Brooks. «Gleichzeitig haben wir nach knapp drei Jahren mit Oliver aber auch die Gewissheit, dass wir sehr vieles meistern und bewältigen können.»
Oliver habe seit seiner Geburt relativ viele, wenn auch kleine Fortschritte gemacht. So könne er sich dank der vielen und regelmässigen Therapien etwas mehr selbst bewegen oder Pausen vom Beatmungsgerät machen und selbstständig atmen. Die Eltern hoffen inständig, dass sich ihr Sohn weiter in diesen kleinen Schritten verbessern kann, oder dass sich sein Zustand zumindest nicht verschlechtert. In den letzten Monaten habe Oliver gelernt, sehr gut zu kommunizieren und meistere die zweisprachige (Deutsch und Englisch) Erziehung bravourös. Noch so kleine Fortschritte lösen bei den Eltern Glücksgefühle aus. «Oliver ist ein aufgeweckter und lebensfroher Junge», sagen die Eltern stolz, «er spielt unglaublich gerne, singt viel und lacht.» Trotz seiner vielen Einschränkungen sind Simon und Brooks überzeugt, dass er seinen Platz in der Welt finden und ein Teil der Gesellschaft sein wird. Sei dies jetzt aktuell als Kleinkind, später in der Schule und noch später im Berufsleben und einem hoffentlich so selbstständigen Leben als Erwachsener wie möglich.
Der Rare Disease Day ist eine weltweite Bewegung: Seit 2008 vereinen sich immer am letzten Tag im Februar Menschen auf der ganzen Welt, um auf die Anliegen und Bedarfe der «Waisen der Medizin» aufmerksam zu machen und ihnen Gehör zu verschaffen. In der Schweiz organisiert ProRaris in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Seltene Krankheiten am Inselspital Bern am Samstag, 2. März, einen Anlass. Weitere Informationen unter: https://www.kmsk.ch
Von Benjamin Schmid
Lade Fotos..